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Stephanie Dötzer – Flotte ohne Wellenschlag (Murky Marmara)

Flotte ohne Wellenschlag

– warum Israel den PR-Krieg nicht verloren hat und trotzdem auf seine Kritiker hören sollte

(Originaltext erschienenen in: Executive Magazine, Beirut, Juni 2010)

(in Deutsch zuerst veröffentlicht beim Palästina-Portal)

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„Können wir noch irgendetwas für Sie tun?“ fragt ein junger Herr vom israelischen Geheimdienst nach zehn Minuten Verhör im Plauderton. Mohamed Vall, ein Al Jazeera Korrespondent auf der Mavi Marmara, gehörte zu den VIP-Passagieren des Schiffes – also jener Gruppe aus Parlamentariern und Journalisten, die sich über eine vergleichsweise sanfte Sonderbehandlung freuen konnten. Während die Hände der meisten Aktivisten hinter ihrem Rücken zusammengebunden wurden, bekam Mohamed die Handschellen vorne angelegt. Und im Gegensatz zu manchen Mitfahrern, durfte er nach Belieben aufs Klo.

Wäre Mohamed nicht zufällig ein Freund von mir, ich hätte immer noch keine konkrete Vorstellung davon, was eigentlich passiert ist, an jenem 31. Mai, an dem die israelische Marine die Gaza-Flottille kaperte und die Passagiere drei Tage lang von der Außenwelt abschirmte. Hätte ich mich auf westliche Medien verlassen, ich glaube, ich hätte nicht viel kapiert. Klar, ich habe Zeitung gelesen und mich von einem Nachrichtensender zum nächsten gezappt, drei Tage lang. Fühlt sich an wie eine Schleife aus Déjà-Vus: Die Sache mit der Flottille ist neu, der Rest ritualisierte Routine. Die israelischen Militärsprecher sagen, was sie sonst auch immer sagen, Journalisten und Politiker hecheln durchs Hamsterrad ihrer eigenen Verhaltensmuster: Arabische Kommentatoren verstricken sich in ihrer emotionaler Betroffenheit, westliche dagegen in ihren eigenen Vorsichtsmaßnahmen.

Dass im Nahen Osten Zivilisten sterben, ist nichts Neues. An tote Palästinenser hat sich die Welt gewöhnt. An tödliche Angriffe aufs Hilfskonvois immerhin noch nicht. Wenn es dann noch um Passagiere aus 40 verschiedenen Ländern geht und um mutmaßliche Piraterie auf hoher See, dann hat die Geschichte das Zeug zur Top-Story auf allen Titelseiten. Aber es wurde keine Top-Story, jedenfalls nicht in Deutschland und den USA. Es gab eine Reihe kritischer Leitartikel, ein paar schockierte Kommentare dazu dass der Angriff ausgerechnet in internationalem Gewässer stattgefunden habe – aber so richtig hohe Wellen hat die Flottille nicht geschlagen.

Außer in der arabischen Presse, versteht sich. Dort wurde aus der Tragödie im Handumdrehen ein Triumph, aus sämtlichen Passagieren selbstlose Helden und aus den vereinzelten Demos in Europa wurde ein „historischer Wendepunkt“. Wer das glaubt, scheint nicht allzu viele westliche Zeitungen gelesen zu haben. Egal, wie oft es behauptet wird: Israel hat den PR-Krieg nicht verloren. Die israelische Armee kann sich auf tausende loyaler Journalisten verlassen, die die öffentlichen Debatten in Nebenstraßen steuern, bevor sie zu irgendeinem Punkt kommt. Wie sie das schaffen? Ganz einfach: Wenn es irgendwas gibt, was noch blockierter ist als Gaza, dann wohl der gesunde Menschenverstand in Sachen Nahost.

Weil das so ist, können Journalisten tagelang diskutieren wer welche Waffen hatte und wer wann was angefangen hat, ohne zu merken, dass das nicht viel zur Sache tut. Wenn es stimmt, dass die Blockade des Gaza-Streifens nach internationalem Recht illegal ist, dann kann der Versuch, die Blockade einem Dritten aufzuzwingen, von vorne herein nicht sonderlich rechtmäßig sein. Sowas ließe sich erörtern, man könnte aus der Frage eine recht ordentliche Zeitungsseite machen. Stattdessen treten die meisten westlichen Journalisten schon viel früher auf der Stelle – an dem Punkt, an dem sie unisono von „unklarer Faktenlage“ sprechen und eine „unabhängige Untersuchung der Ereignisse“ einfordern.

Hm. Und dabei ist das hervorstechende Merkmal der Geschichte eben gerade, dass die grundsätzlichen Fakten alles andere als unklar sind. Oder um in Mohamed Valls Worten zu sprechen: „Es gibt die GPS Parameter, es gibt die Videos, es gibt 600 Augenzeugen… was braucht man denn noch?“

Bloß wo sind die Augenzeugen? Von einigen Ausnahmen wie dem Guardian mal abgesehen, sucht man in der westliche Mainstream-Presse ziemlich lange nach ausführlichen Augenzeugenberichten. Die deutsche Medien hätten es leicht gehabt: Die beiden Bundestagsabgeordneten waren am nächsten Tag frei und jederzeit erreichbar. Und Norman Paech hat auch noch Ahnung vom völkerrechtlichen Hintergrund – was will man mehr. Doch mehr als ein paar kurze O-Töne waren nicht drin. Die Passagiere, so scheint es, gelten nicht als Quelle, sie sind ja per se „voreingenommen“ und „anti-israelisch eingestellt“. Sonst wären sie ja nicht auf dem Schiff gewesen. Ach so. Wie gut, dass es die Presseprofis von der Armee gibt, die das Bildmaterial gleich noch mit Erklärung liefern, ganz objektiv, natürlich.

Statt auch den Passagieren zuzuhören und aus den Puzzleteilen ihrer Schilderungen die Ereignisse zu rekonstruieren, konzentrierten sich die meisten Medien auf eine andere Frage: Waren die Passagiere etwa „Islamisten“ – und haben sich die Linken einspannen lassen für die Zwecke der „radikal-islamischen Hamas“? Die Berichterstattung bewegt sich damit wieder auf vertrautem Terrain. Statt unangenehme Fragen zur Flottille stellen zu müssen, kann man sich jetzt die Zeit vertreiben mit Recherchen zu Spendengeldern der IHH.

Während den meisten Arabern nicht so recht einleuchtet, welche Relevanz die politischen Einstellungen der Passagiere zur Beurteilung des Angriffs haben, sieht die westliche Logik eher so aus: Sollten die Passagiere irgendwelche linksalternativen Hippies sein, die morgens auf dem Deck Yoga machen – ok, lassen wir sie nach Gaza, was soll schon passieren. Wenn sie aber Bärte tragen und fünf Mal am Tag beten – um Gottes Willen! Da muss man besser eingreifen bevor sie… ja, was eigentlich? Zement und Medikamente nach Gaza bringen könnten?

Natürlich gibt es Menschen – und wahrscheinlich sogar immer mehr davon – die nicht alles glauben, die im Gewirr von Propaganda-Gefechten und gegenseitigen Anschuldigungen immer noch ihren eigenen Standpunkt finden. Doch je mehr ins öffentliche Bewußtsein rückt, was in Gaza passiert, desto nachdrücklicher wird in vielen Leitmedien betont, dass ein Land, das so isoliert sei wie Israel, „seine Freunde umso dringender braucht.“

Aber Israel braucht keine Mitläufer als Freunde, davon gibt es schon genug. Die besten Ratschläge kommen in diesem Fall nicht von den angeblichen Freunden, sondern von den Kritikern. Von Mohamed Vall, zum Beispiel. Die richtige Antwort auf die Eingangsfrage ist ihm leider erst eingefallen, als er schon wieder zu Hause war: „Ob Sie etwas für mich tun können? Oh ja, gerne! Heben Sie die Blockade auf, hören sie auf die Welt für blöd zu verkaufen und bitte betrachten sie arabische Menschenleben als genauso wertvoll wie jüdische Menschenleben… und dann, ahlan wa sahlan, herzlich willkommen im Nahen Osten!“

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Stephanie Doetzer

2 Antworten

  1. Hallo Anna,

    schön, dass Du uns auch mal wieder beehrst … die von Dir mitgebrachten, in der Tat wenig zuversichtlich stimmenden Information habe ich in der einen oder anderen Form auch schon über andere Quellen gefunden. Aber mal ganz unter uns gesprochen … auch wenn es zahllose bezahlte oder freiwillig überzeugte Experten gab/gibt, die den bevorstehenden Krieg gegen den Iran als unausgegorene Verschwörungstheorie bezeichnen und insofern als Übertreibung hinstellen zu können glaubten, wissen wir doch schon geraume Zeit, dass an dieser Eskalation aus Sicht der Anstifter und (in ihren Interessen bedrohten) Nutznießer kein Weg mehr vorbeiführt.

    Trotzdem danke für die Info, welche zumindest dem ahnungslosen oder unter Aufbietung aller anerzogenen Reflexe geflissentlich wegsehenden Besucher den Schlaf aus den Augen reiben sollte!

    Viele Grüße, Hans (M.)

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